Einleitung
Im Rahmen der Qualitätssicherung haben sich die Kliniken in Deutschland schon vor einigen Jahren auf den Weg gemacht, Leistungspotentiale zu beschreiben. In diesem Kontext stehen u. a. auch Leitbilder vieler Kliniken, die dem Patienten eine hochwertige und sichere Versorgung anbieten und versprechen. Parallel wurde seit spätestens 2005 die Finanzierung für Krankenhäuser mit einem fallpauschalierenden Entgeltsystem (Diagnosis Related Groups, DRG’s) verändert. Dieses hat alle Kliniken bundesweit und regional unterschiedlich in die Situation gebracht, Strukturen und Prozesse zu analysieren und schließlich nicht unerhebliche Einsparungen vorzunehmen. Diese haben zu starken Stellenreduktionen in der Krankenpflege und insbesondere in den Handlungsfeldern von Intensivpflege und Anästhesie geführt.
Parallel zeigt eine Stichprobe des Deutschen Instituts für Angewandte Pflegeforschung (DIP) auf, dass im Jahr 2012 im Durchschnitt 3,6% der Stellen nicht besetzt waren.
Aus diesem Grund sorgt sich die Deutsche Gesellschaft für Fachkrankenpflege und Funktionsdienste e.V. (DGF) um eine gute und sichere Versorgung der Intensivpatienten in Deutschland. Folgende Fragen stehen für unsere Fachgesellschaft im Vordergrund:
-
1. Wie viele Intensivbetten gibt es in Deutschland?
- 2. Wie viele Pflegende gibt es für diese Intensivbetten?
- 3. Wie hoch ist der prozentuale Anteil der Fachpflegenden auf den Intensivstationen?
- 4. Reicht die aktuelle Personalbesetzung auf den Intensivstationen für eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung aus oder besteht bereits ein potentielles Risiko in der Versorgung?
Entwicklungen im Gesundheitssystem
Mit der Betrachtung der strukturellen und organisationsbezogenen Änderungen fallen folgende Aspekte besonders auf:
• 1991 wurden in 2411 Krankenhäusern rund 14,6 Mill. Patienten in 204.204 Krankenhausbetten versorgt.
• Die durchschnittliche Verweildauer betrug 14 Tage.
• die Bettenauslastung lag bei 84,1%.
• 2010 wurden in nur noch 2.064 Kliniken 18,1 Mill. Patienten in 142.000 Betten versorgt.
• Dieses Plus an 3,5 Mill Patienten hatte eine durchschnittliche Verweildauer von 7,9 Tagen im Krankenhaus zur Folge.
• Die Bettenauslastung betrug 2010 77,4%.
Festzuhalten ist demnach:
Welche Bedeutung hat das für die Intensivpflege?
Festzuhalten ist weiterhin:
• In fast jeder dritten Intensivstation (30,8%, vgl. DIP) können die Pausenzeiten nicht regelmäßig eingehalten werden.
• In mehr als jeder vierten Einrichtung (28,6%) können vereinbarte Ruhezeiten (z.B. an Wochenenden/ dienstplanmäßiges Frei – siehe DIP) nicht eingehalten werden.
Immer mehr Intensivpflegende suchen sich andere Handlungsfelder oder verlassen die Intensivstation.
Nationale als auch internationale Studien (siehe Abb. 2) belegen inzwischen zahlreiche qualitative Mängel in der Patientenversorgung. Dazu gehören u.a.:
Diese Beobachtungen sind identisch zu denen der Analyse des DIP, die noch weitere Defizite aufweisen:
Abb. 1 Isfort M. et al. Pflegethermometer 2012. Deutsches Institut für Angewandte Pflegeforschung (DIP)
In diesem Kontext steht u.a. auch die RICH-Nurse-Studie, in der aufgezeichnet wird, dass spezifische notwendige Maßnahmen nicht von Pflegefachpersonen durchgeführt wurden, obwohl sie notwendig und nützlich gewesen wären, aber wegen mangelnder zeitlicher, fachlicher oder personeller Ressourcen nicht durchgeführt werden konnten.
Die Studie zeigt auch die Interdependenz von Angemessenheit der Stellenbesetzung und Fachkompetenz sowie der Zusammenarbeit im Pflegeteam und mit Ärzten.
Intensivpflegende übernehmen immer mehr hoch komplexe intensivpflegerische Handlungsfelder, zu denen nachfolgende gehören:
In Deutschland liegen – anders als in den meisten anderen europäischen Ländern – keine signifikanten Daten im Gesundheitswesen insbesondere zur Qualifikation der Pflegenden und zur personellen Ausstattung an zentraler Stelle vor. Für die Analyse des Zusammenhangs von Pflegekomplexität und Personalbesetzung fehlen ebenso verlässliche Daten wie zu Datenerhebungen in Bezug auf die Ergebnisqualität der Patientenversorgung. Das bedeutet, dass die Güte der Versorgungsqualität schwer beurteilbar ist, obwohl das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bereits im Jahr 2006 auf dieses Defizit hingewiesen hat.
Insofern können derzeitig (nur) die Ergebnisse des Pflegethermometers 2012 genutzt und in Analogie zu internationalen Studienergebnissen Rückschlüsse und Prognosen aufgestellt werden, die die potentielle Gefährdung der Patienten auf Intensivstationen darstellt.
Aus der Analyse des DIP geht hervor, dass „die Patientensicherheit teilweise gefährdet und für die Patienten mit erhöhten Risiken verbunden ist.“ Dazu gesellt sich, dass „nur 21,5 Prozent der befragten Leitungskräfte der Aussage zustimmten, dass in jeder Schicht eine ausreichende Anzahl an examinierten Pflegenden anwesend ist, um eine sichere Patientenversorgung zu gewährleisten.“
Bei Betrachtung zahlreicher internationaler Studien zeigt sich ein sehr konkreter Zusammenhang zwischen Kompetenz und Menge des Pflegepersonals gegenüber der Häufigkeit von aufgetretenen Komplikationen und Schäden, die nachfolgend in einer kleinen Auswahl gegenübergestellt sind:
Abb. 2 Risiken bei Personalmangel
Wissenschaftlich nachgewiesene Komplikationsrisiken bei Personalmangel (Autoren)Mangelhafte Früherkennung von Komplikationen (Aiken et al. 2002) Pneumonie / Lungenembolie/ Gastrointestinale Blutungen
(Amaravadi, Dimick et al. 2000; Kovner et al. 2002)Wundinfektion / Sepsis (McGillis/Doran/Pink 2004 et al.) Reintubation (Cho et al. 2003) Venenthrombose (Needleman et al. 2002, 2006) Dekubitus / Harnwegsinfektion (Kovner et al. 2002; Cho et al. 2003; Mark et al. 2004) Medikationsfehler (Blegen/Vaughn 1998) Nurse staffing and education and hospital mortality in nine European countries: a retrospective observational study (Aiken L H, Sloane D M, Bruyneel L, Van den Heede K et al.)
Aiken et al konnten in einer Studie von 2014 deutlich diesen Effekt zeigen, dass das Risiko von Komplikationen steigt, wenn weniger qualifiziertes Personal vor Ort anwesend ist. Auf deutschen Intensivstationen finden wir immer weniger Personal und dies ist zu einem immer höheren Anteil nicht fachweitergebildet. Damit steigt das Risiko vermeidbarer Komplikationen für Patienten auf den Intensivstationen deutlich.
Im Sinne einer qualitativ hochwertigen und sicheren Versorgung fordert die DGF von daher eine Quote von 70% Fachpflegepersonal mit einer 2-jährigen Weiterbildung für Intensivpflege und Anästhesie auf den Intensivstationen. Diese Gruppe an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern muss folgerichtig über alle Dienste gleich verteilt werden, um eine qualitativ hochwertige Versorgung jeder Zeit sicher zu stellen.
Die Annahme, dass nachts „weniger Wichtiges“ auf den Intensivstationen geschieht und dass damit unseres Erachtens eine fehlerhafte Dienstplanung mit weniger kompetentem Personal erfolgt, hat Bienstein (2014) bereits widerlegt. In der Nacht fehlen im Gegenteil die obligaten Verzahnungen der interdisziplinären Versorgungsprozesse, sind weniger Menschen in ihren Funktionen verfügbar, sodass in diesem Zeitrahmen auf Seiten des Pflegepersonals eine höhere Kompetenz verlangt werden muss, um selbstständig Probleme zu erkennen und adäquate (Be-)Handlungsmaßnahmen rechtzeitig einzuleiten.
Es ist an der Zeit, die notwendigen Schritte einzuleiten und dafür Sorge zu tragen, dass Prognosen über schwere Fehler in der Versorgung von Intensivpatienten mit dauerhaften oder im schlimmsten Fall letalen Schäden nicht eintreten werden.
Aus den bisher dargestellten Gründen fordert die DGF:
• für Patienten mit aufwendigen organunterstützenden Interventionen wie Beatmung, Dialyse, Leber- und Herzersatzverfahren sowie Reanimation pro Patient eine zusätzliche Pflegende pro Schicht
• für Patienten mit hoch komplexen Versorgungsanforderungen eine zusätzliche Pflegende pro Schicht
• zusätzliche Stellen für Leitungs-, Schulungs- und administrative Aufgaben
Für die Arbeitsgruppe:
Manuela Weidlich, Reinhard Schmitt, Willi Peter, Ingo Kühn, Arnold Kaltwasser, Robert Green, Lothar Ullrich, Dietmar Stolecki
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